Land & Leute

von Ponson du Terrails

Ponson du Terrails(1829 -1871), Schriftsteller, Essayist und scharfsichtiger Beobachter der damaligen Gesellschaft und des politischen Lebens, vertraute das Manuskript seines Werkes „Les Bandits“, in dem er über die vogelfreien Helden der Macchia und ihre wiederhergestellte Ehre berichtet, 1851 der Zeitung La Patrie an, die allerdings vieles daraus gestrichen hat.

Obwohl inzwischen 150 Jahre vergangen sind, kann der Leser noch heute manches nachvollziehen, was Ponson damals niederschrieb. Sein Bericht steht jedenfalls, genauso wieLorenzi di Bradis „Santa Lucia“, stolz in vielen Bücherregalen der traditionsbewussten Korsen. Hier ein Auszug dieses Werkes:

Die Korsen sind Korsen seit aller Ewigkeit. Sie sind weder eine phönizische Kolonie noch eine Kolonie der Etrusker. Sie sind in ihrer Heimat geboren und nicht das Ergebnis einer Vermischung von Völkern.

Die Korsen sind eine einfache Nation. Nach und nach von den Etruskern, den Phöniziern, den Römern, den Karthagern, den Vandalen und den Sarazänern überfallen, hat Korsika manchmal das Haupt gesenkt, sich jedoch niemals unterworfen. Nie wurden die Sitten und Eigentümlichkeiten der Völker angenommen, die versuchten, Korsika zu unterjochen. Während all der Herrschaften, die es über sich ergehen lassen musste, blieb Korsika stolz und rebellisch…

Das korsische Volk ist eins. Ein Korse gleicht dem anderen; je nachdem aber wo er zu Hause ist, sind feine Unterschiede und kleine Varianten des Lebenswandels und des Charakters erkennbar. So identisch die allgemeinen Wesenszüge sind, so unterschiedlich sind manchmal die untergeordneten Wesensmerkmale, die fast immer in übereinstimmung mit der Beschaffenheit des Bodens, der Umgebung und den jeweiligen Tätigkeiten stehen.

So ist der Korse, der aus der Balagne stammt, ein hervorragender Landbauer. Arbeitsam, aktiv, behutsam und demütig. Er übt zwar Vergeltung wenn man seine Schwester oder Tochter beleidigt, schützt sie aber wachsam und behütet sie mit großer Sorgfalt, um Ehrenkränkungen vorzubeugen. Der Korse aus der Balagne kennt den Wert des Geldes. Ohne habgierig zu sein, ist er sparsam, geordnet und stets am Zählen.

Der Korse aus Ajaccio und Sarténe ist das Gegenteil. Er bebaut lediglich die Hälfte seines Landes, wenn er nur genug erntet, um zwölf Monate des Jahres davon zu leben. Das Schießpulver hat in seinen Augen mehr wert als Geld. Er macht ungern auch nur einen Schritt ohne seine carchera (Kartuschen) und ohne sein Gewehr. Er ist ständig bereit, zu kämpfen. Obgleich er nicht streitsüchtig ist, so geht er dem Streit doch niemals aus dem Wege. Man findet ihn genauso friedlich auf dem Hauptplatz, seine Zigarre rauchend, wie neben seinem Pferd in den Bergen. Sein Gewehr auf den Schultern, stets mit einem stolzen oft spöttisch wirkenden Lächeln auf den Lippen, zeigt er sich in kriegerischer Haltung, als wolle er die ganze Welt herausfordern. Er ist träger aber auch genügsamer als der Korse aus der Balagne. Ein Stück Brot, etwas lauwarmer Wein aus seinem Gurt, einen Rest Bruccio-Käse, der Farn in der Macchia, sein Schießpulver und Patronen – das genügt ihm völlig. Alles andere ist Luxus und unnütz.

Der Korse der Balagne vergibt manchmal. Ein Korse aus Sarténe und Ajaccio ist unversöhnlich. Zeit und Raum ist ohne Bedeutung: Die Vendetta muss ihren Gang gehen. Andererseits aber ist das gegebene Wort heilig. Man kann in ihren Häusern übernachten und sich bedenkenlos mit Gold und Edelsteinen bedecken. Gold und Edelsteine stellen für sie keine Versuchung dar.

In den Kantonen von Ajaccio und Sarténe haben fast alle Dörfer, ja fast alle Familien, ein Mitglied „in der Macchia“. Wenn sich jemand in der Macchia aufhält, so sagt man „er lebt am Land“, was soviel bedeutet wie, dass man Abstand genommen hat von der Recht sprechenden Justiz, indem man seine eigene Justiz üben wollte.

Im Zentrum der Insel liegt eine Stadt inmitten von hohen aber nicht beängstigenden Bergen, um die sich die Macchia weniger dicht und leicht durchdringlicher ausbreitet. Grüne Streifen, schattige Täler und Kastanienwälder beherrschen die gebirgige Landschaft rund um diese Stadt, genannt Corte. Ein Haus, in welchem Pascal Paoli lebte, ist noch zu sehen. Der Landkreis Corte ist friedlicher denn der von Sartène. Es ist das Korsika der Hirten.

Manchmal, mitten am Tag, wenn der Reisende die Stadt durchquert, ist er verwundert über die festliche Stimmung der Bevölkerung. Kinder spielen fröhlich und ungezwungen, die Pferde wälzen sich wohltuend im Gestrüpp in der Sonne, die Frauen stehen an den Schwellen der Häuser oder unter den großen, schattigen Kastanienbäumen, die sich vor der Kirche befinden, deren Glocke sonntäglich zur Messe ruft, und die Männer rauchen ihre Pfeifen mit korsischem Tabak oder spielen Karten. Ein Dorffest? Ein Tag ungewöhnlicher Freude? – Nein, es war schon gestern so und wird auch morgen so sein. Diese braven Leute haben ihre Saat bestellt und leben nun müßig die Tage bis zur Ernte!

Im Süden der Insel, in dieser kleinen Ebene die ich früher schon einmal erwähnte, lebt eine völlig andere Bevölkerung. Die Bonifazier. Die Bonifazier sind eine genuesische Kolonie. Wenn Sie die einzige Stadt durchquert haben, die auf der Straße von Sartène nach Bonifacio liegt, Monascheri – im Sommer verlassen, im Winter, wenn der Schnee näher kommt, von den Hirten bewohnt – dann suchen Sie Korsika vergebens. Sie werden es hinter Monascheri nicht mehr finden. Sie begegnen von da ab nur mehr Genuesen, das heißt einem höflichen Volk mit Manieren und unbewaffneten Bauern, die Fremden zulächeln. Einem Volk welches in seiner Stadt nur ein einziges Gästehaus aufweisen kann, in dem man ihnen zudem, in der treuherzigsten Art der Welt, das Fell über die Ohren zieht.

Der Bonifazier ist Geschäftsmann, Seemann, Schmuggler. Er reicht Sardinien die Hand, das noch weniger wert ist als er. Der Bonifazier übt keine Vergeltung. Er rächt sich aus einem einfachen Grunde niemals: Nichts greift ihn wirklich an…

Soweit die Schilderung von Ponson du Terrail (1829 -1871).

Selbst wer heute nach Korsika kommt, kann noch Spuren dieser vor 150 Jahren von Ponson niedergeschriebenen Wesensmerkmale erkennen, auf welche die Einheimischen selbst teilweise hinweisen. Sicherlich sitzen aber in Frankfurt heute mehr Gauner als damals in Bonifacio. Und wahrscheinlich passiert in einer Nacht in Paris mehr Unheil als in einem ganzen Jahr auf Korsika! Eins steht mit Sicherheit fest und gilt nicht nur für Korsika:

Respektiert man Land und Leute, erlangt man auch das Vertrauen der Einheimischen, und nicht selten entstehen tiefe und anhaltende Freundschaften, sofern man wahres Interesse an dem Menschen, seiner Kultur und seiner Tradition aufweisen kann. Der Korse verkauft weder sein Land noch sich selbst oder seine Dienste um Geld. Er zieht es vor, sich mitzuteilen und mit anderen zu teilen. Gerade diese Ursprünglichkeit macht einen Korsika-Aufenthalt so unvergesslich.